26 – Von Assmannshausen zum Niederwalddenkmal

Die Wacht am Wein bei Rüdesheim

Vom rotweinseligen Assmanshausen geht es beschwingt durch die Weinberge hinauf auf die bewaldeten Rheintaunushöhen, von denen wir dann im großen Bogen wieder zu Vater Rhein zurückkehren – und unterwegs zweier höchst unterschiedlicher Frauengestalten gedenken, deren Namen mit dieser Landschaft untrennbar verbunden ist – Germania und Hildegard.

2 Einkehrmöglichkeiten unterwegs. Detaillierte Wegbeschreibung, Karte, Höhenprofil und Hintergrundinfos im Buch.

Album der Tour | kleine Änderung der Route & Korrektur des Buchtextes

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Niederwald-Denkmal

Im September 1883 weihte Kaiser Wilhelm I. dieses pompöse Nationaldenkmal ein, das an den Sieg über Frankreich im Krieg von 1870/71 und die danach erfolgte Reichgründung erinnern sollte. Auf dem Sockelrelief sind die Hauptbeteiligten dargestellt: Der Kaiser hoch zu Roß, daneben Bismarck, der Motor der Neugründung des deutschen Reiches sowie die Fürsten der unter Preußens Führung vereinigten Teilstaaten. Darunter prangen die heroischen Verse der „Wacht am Rhein“ mit der bekannten Zeile: „Lieb Vaterland magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht am Rhein“.

Beunruhigt hatte das Denkmal nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich die französischen Besatzer auf der anderen Rheinseite. „Der Germane“ recke drohend „seine erhobene Faust gen Frankreich“, beklagten sie sich bei ihren US-Kollegen und forderten den Abriß des Denkmals. Die schauten sich die Sache genauer an und kamen zu dem Schluß: Erstens handele es sich um eine Dame, wogegen die Franzosen ja wohl nichts einzuwenden haben dürften, zweitens halte sie das Schwert gesenkt, und drittens blicke sie nicht gen Paris, sondern nach Süden, mehr auf Mainz zu. Im Übrigen habe sie einen Friedensengel zur Seite. Die Germania durfte stehenbleiben – sehr zur Freude der Legionen amerikanischer Touristen, die bald an den Rhein strömten…

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Abtei St. Hildegard

Der etwas düster wirkende Klosterkomplex wurde in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts erbaut und knüpft an eine der Lichtgestalten des „finsteren“ Mittelalters an, die hl. Hildegard von Bingen (1098-1179), die in dieser Landschaft beiderseits des Rheins vor 850 Jahren wirkte: 1165 hatte sie im etwas unterhalb gelegenen Dorf Eibingen eine Filiale ihres Klosters Rupertsberg (Bingen) gegründet, von wo auch – fast 500 Jahre später – während der Wirren des 30jährigen Krieges ihre Gebeine in die Eibinger Pfarrkirche überführt wurden, wo die Reliquien der – nie offiziell heilig gesprochenen! – Heiligen bis heute verehrt werden.

Die Abteikirche ist ein förmliches Sinnbild für die Innerlichkeit des religiösen Erlebens. Ähnlich, wie die hl. Hildegard sich nach Außen nichts von ihren Visionen anmerken ließ, gibt das im Stil einer romanischen Basilika erbaute Gotteshaus sein Geheimnis erst preis, wenn man den Innenraum betritt. Dann zieht den Besucher eine geheimnisvolle Bildwelt in ihren Bann, deren Bezugspunkt der monumentale „Christos Pantokrator“ in der Apsiskuppel ist. Der dem byzantinischen Motivkanon nachempfundene „Allherrscher“ breitet hier einladend die Arme aus und seinem milden Blick vermag sich niemand im Raum zu entziehen, ein Effekt der Kuppelwölbung.

Entziehen kann man sich auch nicht der friedvollen Seelenstimmung, die von der gedämpften Farbigkeit der Raumausmalung ausgeht und die sich noch vertieft beim Betrachten der eigentümlichen Wandgemälde: Szenen aus Altem und Neuem Testament, aus dem Leben der Hl. Hildegard, bedeutende Heilige des Benediktinerordens – alle Gestalten atmen tiefe Ruhe und Frieden, wirken der Welt weit entrückt, alles Bewegte scheint zum Stillstand gekommen, alle Individualität im Überpersönlichen aufgegangen. Diese streng stilisierende Bildgestaltung im Dienste frommer Betrachtung ist ein Wesensmerkmal der „Beuroner Kunstschule“ , aus deren Schaffen die Abtei St. Hildegard als eine der gelungensten Gesamtkompositionen hervorging.

Von der benediktinischen Erzabtei Beuron im oberen Donautal ging im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Erneuerungsbewegung sakraler Kunst aus, deren Ziel es war, sowohl dem Realismus wie dem „l´art pour l´art“-Prinzip der weltlichen Kunst eine „l´art pour Dieu“ entgegenzusetzen, eine „Kunst um Gottes willen“, die sich zugleich vom zeitgenössischen Herz-Jesulein-Kitsch dadurch abheben sollte, daß ihre Bildwelt mehr das Gedanken- als das Gefühlsleben ansprach. Pater Desiderius Lenz (1832-1928), der Begründer der Beuroner Schule, leitete seine Kunst insbesondere von ägyptischen Vorbildern mit ihrer streng reglementierten Formensprache ab.

Geht man vor zum Altarraum und hebt den Blick zur Chorkuppel hinauf, so erkennt man in der Ornamentik noch einen weiteren, diesmal modernen Einfluß auf die Beuroner Kunstschule, den Jugendstil, dem ja auch die typisierende Darstellung eigentümlich war und in dessen Nähe sich die Beuroner Schule einordnen läßt.

Die Innenausmalung der Abteikirche (1907-1913) war das Hauptwerk des Lenz-Schülers Pater Paulus Krebs, dem es mit den Mitteln seiner „Heiligen Kunst“ gelang, eine zur „Andacht“ einladende Atmosphäre zu schaffen in bewußtem Gegensatz zu zeitgenössischen Kunstströmungen wie dem aufkommenden Expressionismus.