Der alte Judenfriedhof im Kronberger Wald (Touren 9 & 10)

Mich hat schon lange die Frage beschäftigt, warum 1933/34 bei der Zerstörung des jüdischen Friedhofs im Kronberger Wald (Tour 9 und Tour 10) nicht „tabula rasa“ gemacht, sondern zwei Gräberreihen mit 38 Grabmälern geschont wurden. Hat da ein Nazi kalte Füße ob des Frevels bekommen? – Alle Rechercheansätze verliefen zunächst im Sande, bis ich auf das Buch „Als ER wiederkam. Eine utopisch-satirische Hitler-Vision zum zehnten Jahr der ersten Mondlandung 1969 und Ein Kapitel kleinstädtischer Judengeschichte am Beispiel Kronberg“ (1979) von Wilhelm Jung stieß.

Kronberg - Judenfriedhof (Gemeinfrei Wiki Liste Kulturdenkmäler Kronberg)

Des Rätsels Lösung: Der Haumeister der mit der Einebnung beauftragten Waldarbeiter hatte einige der bestatteten jüdischen Kronberger persönlich gekannt, weswegen er den jüngsten Teil des Friedhofs nicht antastete. So jedenfalls die plausibel klingende Überlegung von Wilhelm Jung, der auch darauf hinweist, daß der Mann katholisch (und damit wohl tendenziell wenig nazifreundlich) war.

Hier nun die betreffenden Abschnitte aus Jungs Buch (S. 68-70), inklusive der seinerzeitigen Beschlüsse des Kronberger Magistrats:

Unterm 27. April 1933 ist zu lesen: „Der israelitische Friedhof ist aus hygienischen Gründen sofort zu schließen, da eine Verunreinigung der in unmittelbarer Nähe gelegenen Quellen des Bürgelstollens zu befürchten ist. Der israelitischen Kultusgemeinde Königstein soll anheimgestellt werden, ihre Verstorbenen auf dem israelitischen Friedhof in Falkenstein zu beerdigen.“
     Und am 7. Dezember 1933 wurde schriftlich niedergelegt: „Der Magistrat nimmt davon Kenntnis, daß der Kultusvorsteher Wetzlar aus Frankfurt persönlich die Angelegenheit mit dem Bürgermeister besprochen hat. Die israelitische Kultusgemeinde Königstein will den Friedhof vollständig neu einzäunen, das Gelände in einen sehr guten Zustand versetzen, Wege anlegen und die Grabhügel frisch aufwerfen lassen. Sämtliche Arbeiten sollen im Frühjahr 1934 fertiggestellt werden. Der Magistrat kann sich jedoch mit diesem Vorschlag nicht einverstanden erklären. Er ist der Ansicht, dass der Friedhof, der landespolizeilich geschlossen ist, eingeebnet werden muß, zumal er in der jetzigen Verfassung eine Verschandelung des Waldes darstellt.“
     Der erwähnte Kultusvorsteher dürfte laut Mitteilung von Dr. Paul Arnsberg, der früher in Königstein, Ölmühlweg 19, wohnhaft gewesene Religionslehrer Siegfried Wetzlar gewesen sein.
     Die Einebnungs- und Aufforstungsarbeiten des Judenfriedhofs führte das Forstamt Kronberg als dafür zuständige Stelle durch. Der praktische Teil dieses Auftrages oblag dem damaligen Haumeister Franz Schütz und dessen Waldarbeitern. Daß zwei Grabmälerreihen im jüngeren Friedhofsteil noch stehen, dürfte, wie der Verfasser annimmt, nur auf die Pietät des genannten Haumeisters zurückzuführen sein. Franz Schütz, ein alter kerniger, katholischer Kronberger, der keine Untertanenfurcht kannte, hatte sicher Hemmungen, Grabsteine von Verstorbenen zu beseitigen, die ihm, wie zum Beispiel die Ehepaare Fleischhauer und Strauß, persönlich gut bekannt waren. Er ließ sie unangetastet und so wuchs, wie auf diesem Friedhofsteil, auch Gras über die Angelegenheit, die dann anscheinend bei den damaligen örtlichen Machthabern in Vergessenheit geriet. Vielleicht weil sie weit außerhalb ihres ständigen Gesichtskreises lag.
     Vermutlich hat Schütz auch die auf dem in Falkensteiner Gemarkung liegenden Friedhof der israelitischen Kultusgemeinde Königstein am Eingang rechts befindlichen sehr alten, unleserlichen Grabsteine vom unweit entfernten Kronberger Judenfriedhof dorthin bringen lassen, weil er vermutlich wußte, dass sie dort in Sicherheit waren. Es ist nämlich auffallend, daß die Königsteiner radikalen Nazis die dortige Synagoge in der sogenannten Kristallnacht am 9. November 1938 in Brand setzten und einäscherten, den zugehörigen Friedhof aber verschont ließen. Vielleicht war ihnen der Weg zu weit, oder die Falkensteiner Gemeindeverwaltung schützte ihn vor Vernichtung. Jedenfalls blieb er ganz und ein Teil des idyllischen Judenfriedhofs oben im Kronberger Wald, der ursprünglich laut Katasterunterlagen 4875 m² umfasste in einer Größe von 682 m² erhalten. Das nach der Diktatur Zeit demokratisch-human eingestellte Stadtparlament ließ ihn herrichten und mit einem Jägerzaun umgeben.

Wer Franz Schütz war und wie sein weiterer Lebensweg verlief, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Dies wäre aber sicher ein spannendes Forschungsvorhaben für den „Verein für Geschichte Kronberg“.

 

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